Dieser kleine Junge war ich und – ja, Mami, es tut mir ja
leid, dass du dir manchmal Sorgen machen musstest, weil du nicht wusstest, wo
ich war. Aber zumindest wusstest du, dass du immer zuerst am Bahnhof nach mir
suchen musstest!
Die grossen Züge waren schon damals die Welt des kleinen
„Chrigeli“. Damals war alles anders als heute. Vor den Güterzügen standen noch
Ae 4/7 im Einsatz, eine Lokomotive, die ich damals als „das kleine Krokodil“
bezeichnete, obwohl es mit der richtigen Krokodillok eigentlich nicht viel
gemein hatte. Die Bummelzüge bestanden aus Leichtstahlwagen mit Mitteleinstieg,
gezogen von Re 4/4 I. In diesen Wagen roch es immer genau gleich, nach
Eisenbahn einfach! An den Wänden hingen Schwarz-weiss-Fotos mit Sujets aus der
Schweiz und in den Abteilen hingen blaue Glühbirnen (wie ich später erfuhr die
sogenannte „Kriegsbeleuchtung“, um bei Fliegeralarm nachts nicht als leuchtende
Zielscheibe durch die Gegend zu fahren). Auf den Bahnsteigen gab es noch keine
Linien, hinter die man sich stellen musste, keine elektronischen Zielanzeigen
und die Lautsprecherdurchsagen wurden noch live gesprochen und kamen nicht vom
Band. Überall standen noch diese grossen Gepäckkarren rum mit den vier grossen
Rädern und der breiten Ladefläche, wo man sich so wunderbar hinsetzen konnte. Und
manchmal tuckerte der Dampfzug der Sursee-Triengen-Bahn heran, hüllte den
Bahnhof in Rauch und brachte diesen unverwechselbaren Geruch mit; ein Gemisch
aus verbrannter Kohle und Schmierstoff.
Der Kiosk war noch ein einfacher Stand, den Gleisen zugewandt
und es gab dort nur Zeitungen, Zeitschriften und Süssigkeiten zu kaufen. Und
Gummibälle. 1987 kaufte ich mir einen orangen Gummiball an genau jenem Kiosk
für 2 Franken 50. Ich musste auf die Zehenspitzen stehen, um an den Ball zu
kommen, nachdem ich der Kioskfrau die lange ersparten Münzen in die Hand
gedrückt hatte.
Es war eine so unbeschwerte Zeit! Dabei war schon damals
die Welt nicht mehr in Ordnung. Europa war zweigeteilt in westliche und
kommunistische Staaten, die die Meinungsfreiheit unterdrückten. Es wurde
diskutiert, ob man das Gemüse noch essen dürfe nach der Katastrophe im fernen
Tschernobyl, dort, bei den Kommunisten. Und das Wort „Waldsterben“ war in aller
Munde.
Doch das alles beschäftigte nur die Erwachsenen, an mir
ging das vorbei. Ich hatte ja meine Züge, und die forderten meine ganze
Aufmerksamkeit. Und wenn ich heute auf meiner Modelleisenbahnanlage dem
Modell-Bummelzug mit Re 4/4 I und Leichtstahlwagen zuschaue, wie er seine
Runden dreht, dann bin ich wieder der kleine Junge aus den 80ern. Als ob die
Zeit stehen geblieben wäre.
Wie wäre es doch schön, noch einmal dorthin zurückkehren
zu können! Nur für einen Tag!
Oder ja, vielleicht auch für zwei!
Oder ja, vielleicht auch für zwei!